In 28 Tagen über Eider, Schlei, Ostsee, Elbe-Lübeck-Kanal, Elbe, NOK zurück nach Stapel



Roland Blatt 2020



Tag 1, Freitag, Borgwedel

001 Als ich an diesem Freitagabend in den Borgwedeler Hafen kam, blies ein ordentlicher Ostwind, der gar nicht zu dem sonst so guten Wetter passte. Mein Boot war ganz auf das leeseitige Nachbarboot gedrückt, aber insgesamt 8 Fender hatten für Schadlosigkeit gesorgt und sorgten immer noch dafür. Doch unter diesen Bedingungen dürfte ein Ablegemanöver nicht einfach werden, das war mir klar. Also lief ich durch den Hafen, bis ich jemanden fand, der bereit war, vom luvseitigen Nachbarboot, das jenseits des freien Liegeplatzes auf der Ostseite lag, mit einer langen Leine den Bug abzuhalten. Ich hatte den Plan, mein Boot an der Heckleine bis zum Dalben ziehen, das Boot vom Wind um den Dalben herumtreiben lassen und danach vorwärts loszufahren.

002 Ein guter Plan. Eigentlich. In Abstimmung mit meinem Helfer zog ich das Heck bis zum Dalben, dann löste ich die Leine. Doch es war wohl so, als ob der Wind nur auf diesen Moment gewartet hätte, er briste in solcher Weise auf, dass ich das Boot nicht mehr halten konnte. Einmal noch konnte ich zwar verlorenen Boden wiedergewinnen, und für einen Moment sah es ganz gut aus, aber dann musste ich nachgeben und mein Heck driftete an der Heckleine des Nachbarn zurück. Gleichzeitig kam das Boot immer weiter quer, da der Bug abgehalten wurde, und so kam noch mehr Druck auf das Boot. Trotz Aufwendung aller Körperkräfte war nichts zu machen. Gnadenlos drehte sich das Boot, und, da der Raum trotz des freien Liegeplatzes daneben eng wurde, passierte das, was passieren musste. Mit meinem Heck - hier war es eine Schraube der Badeleiter und ein Scharnier von meiner kleinen Badeplattform - und berührte und beschädigte ich das Nachbarboot: Schrammen und Kratzer. Ich war restlos bedient!

003 Trotzdem musste ich jetzt ablegen, um weiteren Schaden zu vermeiden. Dem gerade hinzugekommenen Eigner des luvwärtigen Bootes, von dem aus der Bug abgehalten worden war, einem gut bekannten Vereinskameraden aus Fleckeby, gab ich noch schnell Bescheid und bat ihn, die Schadstellen zu fotografieren. Dann verließ ich den Hafen, durch den der Ostwind pfiff und wo die Boote in den Leinen tanzten, und nahm Kurs "Revierfahrt schleiabwärts".

004 Durch das verkorkste Ablegemanöver hatte ich Zeit verloren, die Brücke Lindausnis verpasste ich knapp. Vor der Brücke Kappeln musste ich erneut warten, und so erreichte ich erst gegen 2230 Uhr den verabredeten Ankerplatz im Wormshöfter Noor bei Maasholm. Hier machte ich fest bei der LUNA meiner Kieler Freunde und warf den Anker. Anschließend gab ich mir alle Mühe, den Ärger vorläufig zu vergessen und aus dem mentalen Tief herauszukommen. Gut, dass die Freunde da mithalfen.

Tag 2, Samstag

005 Hochsommerliches Wetter, baden. Im Telefonat mit zuhause die Versicherungssituation geklärt: Kaskoversicherung, Haftpflichtversicherung, alles da. Das beruhigt schon mal.

006 Nachmittags kurz ankerauf und zum Einkauf nach Maasholm rübergeschippert. Bei der Rückkehr auf Grund der bevorstehenden Winddrehung wurde auf meinen Anker verzichtet, um eine Kettenwuling zu vermeiden. Doch noch ist es so heiß, dass die große Sonnenabwehrplane aufgebaut werden muss. Nur so ist es angenehm, an Oberdeck einen gemütlichen Kaffee zu nehmen.

007 Im Norden zieht es sich zu, Gewitter, aber noch weit weg. Wird das Wetter an uns vorbei ziehen? Nein! Wie ein Messer fährt die erste Bö nieder, weitere folgen. Und schon prasselt der Regen. Nun schnell seeklar machen und ablegen, denn der Anker der LUNA ist ins Rutschen geraten, das Ufer kommt immer näher. Fast 2 Stunden treibe ich in Wind und Regen, der so dicht fällt, dass schon auf 100 Metern fast nichts mehr zu sehen ist.


008 Doch dann beruhigt sich alles wieder, die LUNA hat an anderer Stelle geankert, ich gehe längsseits und werfe auch meinen Anker wieder. Es folgt ein ruhiger Abend und eine sichere Nacht, bei der ein originaler TISSERAND auf den Tisch steht. Fast 50 Jahre alt, ein Erbstück von meinen Großeltern und lauf Aufkleber damals DM 7,46 wert. Der kultivierte Nachbar zu Hause, Kenner und Liebhaber erlesener Getränke aller Art, hatte beim Erstanbruch einige Tage zuvor noch die Nase gerümpft: deutscher Weinbrandverschnitt aus den 1970er Jahren! Aber hier an Bord schmeckt er fantastisch. Wahrscheinlich das "Röde Orm-Prinzip": An Bord schmeckt einfach alles immer gut!!!

Tag 3, Sonntag

009 Die Nacht war ruhig geblieben, mein schwerer Bügelanker hatte neben dem der LUNA für den nötigen Halt und einen ungestörten Schlaf gesorgt. Draußen Westwind von wechselhafter Konsistenz, drinnen - an Bord der LUNA - ein Frühstück der Oberklasse: Mit Rührei vom Käp'ten, getoastetem Schwarzbrot für den, der es wollte, und einem kleinen Schluck Tisserand für den frischen Geschmack auf der Zunge. Thema war wieder einmal der Schaden, den ich angerichtet hatte beim Ablegen. Immer noch wurmte es mich, dass mir das passiert war. Waren mir überhaupt bisher Vorfälle dieser oder ähnlicher Art unterlaufen?

Ja, in den 1970er Jahren hatte mein Boot bei einem Extremhochwasser in der Kieler Förde mit einem Schäkel die Außenhaut des Nachbarn malträtiert. Ja, und da war noch in den frühen 1980er Jahren das Unfallgeschehen, als ich nach dem Auskranen beim Rangieren hinter den Bug eines abgestellten Bootes kam, wobei die Kette des Lagerbocks riss, das Boot abrutschte und so einen Schaden nahm durch das Pallholz, das sich in die hölzerne Bordwand drückte. Aber seitdem? Doch seit Jahhrzehnten nichts mehr! Oder doch?

010  Ankerauf am späten Vormittag. Die LUNA muss zurück nach Strande, das ist dann auch mein Ziel. Der Wind ist ein wenig unstet, meist schwankt er zwischen 1 und 3 Beaufort. Da fehlt nun mein (übrigens gar nicht so großes) Großsegel, auf das ich aus Gründen der Einhandsegelsicherheit und des Vorteils bei Motorfahrt mit gelegtem Mast verzichtet hatte. Auch die LUNA saust mit Vollzeug an mir vorbei, während der Wind eher über mich hinweg zu blasen scheint. Doch dann ist er mit ausreichender Stärke da, und das SEEKAIBI rauscht ab in Richtung Kiel.

011  Eigentlich war es ganz praktisch, die LUNA vorausfahren zu lassen. So wird mir schon über UKW ein freier Liegeplatz angewiesen, und selbst beim Anlegen wird Hilfestellung gewährt. Doch zum Einlaufbier kommt es nicht mehr, die Besatzung der LUNA hat es eilig, wir verabschieden uns.

Früher, als ich selbst noch in beruflicher Tätigkeit war, wäre es mir sicher auch so ergangen. Jetzt jedoch habe ich alle Zeit der Welt. Mein Weg führt mich zum Restaurant des Kieler Yachtclubs, in Sichtweite gelegen, wo ich mit Speis' und Trank den Abend ausklingen lasse. Nicht jedoch, ohne mich vorher mit allen Daten in eine Liste eingetragen und auf Abstand geachtet zu haben. CORONA lässt grüßen!

4. Tag, Montag

012 Schon früh das Telefonat zur Schrader Marina, in deren Werfthafen ich den Schaden verursacht hatte. Jetzt wurde mir Name, Anschrift und Telefonnummer des Eigners mitgeteilt. Danach Anruf bei der Versicherung: Ja, der der Versicherungsschutz besteht, eine Routinesache für den Sachbearbeiter. In der Tat, es ist der erste Schadensfall, seit ich die Versicherung vor 27 Jahren abgeschlossen habe. Danach der Anruf bei dem Eigner. Doch dieser verläuft viel besser als erwartet. Der Eigner, ein Fahrlehrer aus Herford, der dieses Jahr sehr wahrscheinlich überhaupt keine Zeit zum Segeln hat, ist froh, dass ich mich überhaupt gemeldet habe. Wir verabreden, dass das Boot von der Herren der Marina aus dem Wasser genommen und ein Kostenvoranschlag erstellt wird, alles weitere soll danach über die Versicherung laufen.

013 Das Wetter ist umgeschlagen. Es herrscht immer noch Westwind, aber in Stärken bis Beaufort 8. Also ein Wetter, das ich mir auf der 45 Seemeilen langen Strecke nach Fehmarn nicht antun will, anlässlich gemachter Erfahrungen in früheren Zeiten. Aber damals war ich 15 Jahre jünger gewesen. Jetzt brauche ich das nicht mehr. Also: Hafentag.

014 Die Frage steht nach wie vor im Raum: Wohin will ich eigentlich? Ursprünglich hatte ich vor, einmal mehr nach Hiddensee zu segeln. Mit einem schönen Westwind, versteht sich. Danach zurück nach Lübeck, den Mastlegen und über den ELBE-LÜBECK-KANAL (kurz: ELK) in die Elbe und von dort - entweder über die Nordsee oder den Nord-Ostsee-Kanal in die Eider. Doch ein Treffen alter Marinekameraden war so ungünstig terminiert worden, dass das Wetter schon sehr günstig sein müsste, sollte ich beide Ziele erreichen. Ein Hafentag, wie der jetzige, ist da leider kontraproduktiv.

015 Nachts lasse ich ein Teelicht in meiner rustikalen Miniaturheizanlage brennen, um wenigstens halbwegs vertretbare Temperaturen an Bord zu haben.

5. Tag, Dienstag

016 Aber auch an diesem Dienstag ist es kalt, und es bläst wie Hechtsuppe. Jetzt meldet Kiel Leuchtturm bereits Windstärken bis Beaufort 9 bei Starkregen. Also, ein weiterer Hafenliegetag, den ich mir so angenehm wie möglich gestalten will. Immerhin verlangt der Hafenmeister - coronabedingt - nur noch 10 € pro Tag (statt 13 €), dafür aber sind die Toiletten verschlossen. Es gibt allerdings auf der Rückseite des Hauses öffentliche Einrichtungen dieser Art, aber ich habe anderes vor. Ich genehmige mir den Morgenkaffee - übrigens zu empfehlenswert günstigem Preis - im ersten Haus am Platz, dem Strandhotel. Meine Befürchtung, dass bei meinem Erscheinen überstürzt der Kammerjäger alarmiert wird, bestätigt sich nicht. Ganz im Gegenteil, ich werde mit aller Politesse bedient und - sehr wichtig in diesem Moment - mir steht eine luxuriöse Sanitäreinrichtung zur Verfügung, die ihresgleichen sucht. Aber ebenso genieße ich das ausgesuchte Ambiente und die trockene Wärme des Hauses, nur der Blick nach draußen lässt zu wünschen übrig.

017 Trotz des Dauerregens steige ich danach vergnügt in den Bus nach Kiel. Zum ersten Mal seit 49 Jahren! Damals und gerade ohne Auto wohnte ich einige Wochen hier in Strande. Das war die Zeit vor der Olympiade, da fuhr der Bus noch auf genau der Straße, die bereits seit Jahrzehnten die Promenade ist, die nach Schilksee hinüber führt. Diese Fahrt ist für mich, der den ÖPNV nur aus der politischen Debatte kennt, fast schon ein kleines Erlebnis. Ebenso wie Kiel, wo ich auch heute noch meine Anlaufpunkte habe, obwohl ich dort seit mehr als 40 Jahren nicht mehr wohne.

Tag 6, Mittwoch

018 Was für ein schöner Morgen! Das schlechte Wetter ist weg, wie fortgeblasen. Die Sonne lacht. Schon vor 6 Uhr bin ich auf den Beinen, aber noch habe ich den Hafenmeister nicht bezahlt, und ohne meinen Obulus entrichtet zu haben will ich nicht los. Also erst einmal Zeit für einen schönen Kaffee und zur Maschinenkontrolle: Sprit nachfüllen, das Öl im Motor, das vom letzten Frühjahr stammt, sieht noch sehr frisch aus, fast wie neu. Aber es fehlt ein halber Liter, den ich aus meinen Vorräten nachgieße. Impeller und Anode hatte ich vor dem Auslaufen noch gewechselt, die Bilge ist leer, alle Kabel dran, somit dürfte alles in Ordnung sein. Auch die Wellendichtung hat genug Öl. Eine 24 PS-starke Maschine gut in Schuss und Funktion zu haben, das gibt auch jedem Segler ein gutes Gefühl!

019 Gestern, nach der Rückkehr aus Kiel, hatte ich den Hafenmeister nur um Minuten verfehlt. Jedoch der Kaufmann hatte noch offen gehabt, und die beiden Pampelmusen und der tiefgekühlte Yoghurt, die mir auf die Schnelle dort kostenpflichtig in die Hände fielen, waren zwar die geschmackliche Offenbarung des Abends gewesen, aber das hilft mir im Moment nicht weiter. Erst nach 8 Uhr erscheint der Hafenmeister, sein Dienst beginnt jedoch erst um 9. Trotzdem kommen wir schnell ins Geschäft, und noch vor 0830 bin ich auf dem Wasser.

Es ist immer noch schön an diesem Morgen. Kaum Seegang, eine leichte Brise steht im Segel, ich mach gute Fahrt nach Ost. Leider ist das

Schießgebiet gesperrt, das bedeutet, weit nach Norden ausweichen zu müssen. Ein ziemlicher Umweg, verglichen mit dem direkten Kurs in den Fehmarnsund. Aber wie ist es beim Segeln? Genau: Der Weg ist das Ziel!

021 Am frühen Nachmittag, als der Bug wieder nach Süden zeigt, lässt der Wind nach. Also doch wieder motoren. Immerhin ist die Sicht gut, das flache Fehmarn ist zwar noch nicht zu sehen, aber einige Windräder, die dort herumstehen. Und natürlich: den "Kleiderbügel".

022 Gegen Abend habe ich die Ansteuerungstonne Fehmarnsund West an Steuerbord, Heiligenhafen grüßt im Süden, dann passiere ich die Sundbrücke und biege gleich dahinter ein in den Hafen der ehemaligen Beelitzwerft, wo ich schon zu früheren Zeiten gelegentlich mal war.

An dieser Stelle von Fehmarn ist zwar nichts los, aber dafür kommt der Hafenmeister sofort und knöpft mir 13 € ab. Duschen kostet extra; aber braucht man das wirklich, wenn man sich den frischen Wind um die Nase wehen lässt?

Tag 7, Donnerstag

023 Auch wenn es hier im Schutz der Fehmarnsundbrücke ein wenig nach vergammeltem Tang riecht, eilig habe ich es heute nicht. Das Wetter ist zwar schön, aber jeglicher Wind fehlt. Also: erst einmal zur Sanitäreinrichtung: Wasser holen, Zähneputzen, die kleine Körperreinigung. Ja, schöne Duschen gibt es hier, aber die kosten extra, und das Geld habe ich nicht dabei. Aber kalt geht auch! Das soll ja abhärten.

024 Mittags bin ich auf dem Wasser, keine Welle, kein Wind, der Segelversuch scheitert kläglich. Auch die großen Yachten, die mir entgegen kommen, schummeln: trotz vollem Segelkleid läuft die Maschine mit!

025 An der Ansteuerungstonne Ost steuere ich nach Süd. Ich bin unschlüssig, soll ich schon in Richtung Lübeck, um sicher zu sein, rechtzeitig im Elbe-Lübeck-Kanal zu sein? Eigentlich viel zu früh, aber es soll laut Wetterbericht schon wieder ein großes Regengebiet mit starkem Westwind anrücken. Zu weit nach Osten darf ich demnach nicht, sonst wird es schwierig, gegen Wind und Wellen zurück nach West zu kommen. Auch die kräftige Maschine wird dann nicht viel helfen können.
026 Als Dahmeshöved Leuchtturm an Steuerbord voraus ist, habe ich die Idee: Rerik im Salzhaff! Da war ich noch nie, es ist nicht zu weit im Osten und Rerik ist bekannterweise immer eine Reise wert. Also: neuer Kurs Süd-Ost bei spiegelglattem Wasser. Bald kreuzt mir auch schon die erste Fähre den Weg, die auf der Fahrt von Lübeck nach Schweden ist.

027 Mit recht langsamer Fahrt quere ich die Mecklenburger Bucht, an Steuerbord voraus geht es bereits nach Wismar hinein. Hier einzulaufen wäre natürlich auch schön, aber die Segelfreunde, die ich dort besuchen könnte, sind längst mit ihre Boot im Bottnischen Meerbusen unterwegs. Nein, Rerik ist schon ein gutes Ziel für mich an diesem Tag.

028 Doch langsam zieht es sich zu im Süden. Eine Wolkenfront zieht heran, das Wetter wird merkwürdig, im Süden regnet es schon. Die Ruhe vor dem Sturm? Vorsichtshalber ziehe ich mir mein Ölzeug über. Aber noch ist hier alles ruhig, merkwürdig ist jedoch, dass die vielen Segelboote, die eben noch in einiger Entfernung um mich herum waren, alle verschwunden sind. Wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwie kommt mir das bekannt vor!

029 Unterwegs studiere ich das Internet, denn eine betonnte Einfahrt zum Salzhaff gibt es nicht und die Seekarte zeigt auch nichts Greifbares. Doch ich stoße auf eine Seite, die mir weiter hilft: Alles ganz einfach, wenn man einen Plotter hat! Bis zu den gelben Tonnen an der Westseite der Halbinsel Wustrow, diesen nach Süden folgen und nach der letzten in die Einfahrt eindrehen. Das Fahrwasser ist ganz schmal und führt nur 30 Meter an der Südhuk vorbei. Danach ist die 2 Seemeilen entfernte Tonne im Osten vorauszunehmen, nach deren Erreichen dann weitere 5 Seemeilen Nordostkurs steuern bis zum Tonnenweg in den Hafen. Das klingt doch wirklich ganz passabel, zumindest bei passablem Wetter!

030 Ich passiere schon die Tonnen der Osteinfahrt zur Wismarbucht, nun kann es nicht mehr weit sein. Höchstens noch 2 Seemeilen, wo sind die gelben Tonnen? Noch sind sie im Fernglas nicht zu sehen.

031 Aber ich werde sie an diesem Tag auch nicht mehr sehen, denn urplötzlich ist das Unwetter über mir: Gewitter, schwere Böen aus Südwest zischen heran, der Regen peitscht, die Sicht ist weg. Sofort sind auch die Wellen da. Und jetzt nur mit Plotterhilfe einsteuern? Nicht mit mir, denn so genau ist der Plotter auch nicht, das weiß ich, seit ich auf der Eider erlebt habe, dass mein Kurstrack gerne mal "über Land" geht. Nein, ohne Sicht bei diesem Wetter dort einzulaufen, gefällt mir nicht. Eine kleine Grundberührung, schon ist es passiert und die Böen werfen mein Boot auf Schiet. Das hatte ich schon einmal, das muss ich nicht noch einmal haben.

032 Also zurück zu den Tonnen des Wismarer Osttiefs, die in den Wellen hin und her geschlagen werden. Jetzt Kurs Süd nach Poel. Da kenne ich mich aus, da finde ich mich auch ohne Sicht zurecht. Und schon bemerke ich, dass ich mich auf der Plotterspur des letzten Jahres befinde. Da kann ja eigentlich gar nichts mehr schief gehen, zumal das Wetter nun erste kleine Anzeichen einer Besserung zeigt. Und tatsächlich, als ich die Poeler Westhuk passiert habe, wird der Blick frei auf Ort und Hafen von Timmendorf. Und hier scheint eine ganz unschuldige Abendsonne, als ob überhaupt nichts gewesen wäre. Nicht zu fassen!

Tag 8, Freitag, Timmendorf/ Poel

033 Das Anlegemanöver gestern Abend ging gut von statten trotz des quer wehenden Windes. Einige der wenigen Touristen sprangen herbei und nahmen die Leinen an. Sogar ein korrekter Palstek war im Angebot, ich war beeindruckt!


034 Der Rundgang gleich danach durch durch Hafen und Ort war einigermaßen erschütternd. Wo sich sonst die Menschen drängelten - gähnende Leere. Wenige "Peoples" verteilten sich in der Landschaft: Im Hafen waren viele Liegeplätze leer, auf der Terrasse des sonst so gut besuchten Fischrestaurants verloren sich nur einige Gäste, das rustikale Restaurant am Hafen, wo ich im Jahr zuvor noch eine deftige Knackwurst zu mir genommen hatte, ... geschlossen! Und überhaupt: Viele Geschäfte verriegelt und verrammelt, und da, wo geöffnet war, kaum halbe Belegung. Wie wurde doch noch vor kurzer Zeit in den Medien kolportiert? ... Grandiose Überfüllung, wenn nun tatsächlich alle deutschen Urlauber in Deutschland Urlaub machen sollten. Und dies ist nun die Realität. Ja, so sind sie halt, unsere Besserwisser und Oberverdachtschöpfer in den Medien!

035 Ich hatte aber Glück, unter dem Dach der Terrasse des noch in Betrieb befindlichen "Italieners" wird mir Spaghetti/ Aglio, Olio serviert. Sehr schön, nur das Bier dazu entpuppt sich beim ersten Schluck als "Radler". Na ja, kann man ausnahmsweise durchgehen lassen!

036 Heute Morgen jedoch lasse ich es mir aber richtig gut gehen. Beim Bäcker gibt es eine dicke Erdbeerschnitte mit Sahne, dazu gleich zwei große Tassen Kaffee. Das darf man dann schon ein gutes Frühstück nennen! Natürlich musste ich - wie die anderen Frühstücksgäste auch - den Zettel mit den persönlichen Daten ausfüllen, damit im Falle von Corona meine Kontakte überprüft werden können. Aber auch an der Theke, wo die Brötchen ausgegeben werden, wird auf Abstand geachtet und Mundschutz getragen. Es geht doch! Warum nicht gleich so, ich habe es doch schon zu Anfang gesagt, aber auf mich hat ja mal wieder keiner gehört ....

037 Noch während ich beim Kaffee bin, checke ich bereits den "Windfinder" und den Wetterbericht. Ergebnis: Heute ist tagsüber so gut wie überhaupt kein Wind, aber noch am Abend soll sich das ändern: das große, längst angesagte Regengebiet rückt an, mit Sturmböen im Gepäck. Damit ist klar, weiter nach Ost zu segeln ist absolut ungünstig, obwohl ich doch gerne noch meinen Freund und Bundesbruder meiner alten Studentenverbindung in Warnemünde besucht hätte. Aber das verbietet sich jetzt, ich muss zurück unter die Lee-Küste Holsteins, wenn ich rechtzeitig im ELBE-LÜBECK-KANAL sein will.

038 0850 Auslaufen. Als ich ablege, kommt ein Motorboot an Backbord angefahren, das Vorfahrt im Hafen hat und darauf auch besteht. Ich stoppe auf, obwohl noch gar nicht einmal ganz aus dem Liegeplatz heraus bin, und schon schamfiele ich am Dalben. Kein Problem, denke ich noch, die kräftigen Wielings zu beiden Seiten meines Bootes sind doch genau für Momente wie diesen gemacht. ... und so hätte es nun auch diesmal sein können, aber so war es nicht!

039 Als ich die Hafenausfahrt passiert hatte, bemerke ich es: Die Backbord-Wieling ist vorne abgerissen und schleift durchs Wasser. Immerhin ist sie nicht in die Schraube gekommen! Ich ziehe sie an Bord, und nun ringelt sie sich in der Plicht wie eine mächtige, übergroße Seeschlange. Wirklich ein merkwürdiges Bild! Absolut gewöhnungsbedürftig.

040 Mein Kurs geht erst nach Ost, südlich der Untiefen, dann im Wismarer Hauptfahrwasser nach Nord. Um 0940 passiere ich das OFFENTIEF, ich bin jetzt im freien Wasser mit Kurs 270 - Maschinenfahrt, da vom Wind noch nichts zu bemerken ist. Das ist der perfekte Augenblick, in dem ich mich der Wieling annehmen kann. Die Selbststeueranlage steuert das Boot, ich aber mache mich mit dem Marlspieker an die Arbeit. Mit Erfolg, ich spleiße einen neuen Tampen ein und befestige anschließend wieder die Wieling vorne am Bug. Und schon ist der Schaden behoben. Der nächste Dalben kann kommen!

041 Endlich Wind, endlich steht die Genua wieder. Erst 3 Knoten, dann 2,7 - und gelegentlich noch weniger. Doch ich genieße es und schaue mich um. Es ist nicht kalt, der Himmel ist bedeckt, die Sicht ist gut: an Backbord Mecklenburg und die Lübecker Bucht, voraus die Ostseeküste Holsteins. Wo will ich hin? Grömitz wäre gut möglich, Kellenhusen, was mich interessieren würde, hat leider keinen Hafen, voraus ist Neustadt, das man von See kaum sieht, das aber durch den Großen Wasserturm von Pelzerhaken gut markiert ist. Dafür entscheide ich mich.

042 Unter Maschine laufe ich in die Neustädter Bucht ein, Tonnen zeigen mir den Weg, das Fahrwasser teilt sich. Die Marina an Backbord interessiert mich weniger, ich nehme den Weg zur Altstadt. Gleich vorne im Rundhafen, wo ich auch letztes Jahr gelegen hatte, mache ich fest.

043 Landgang, noch bevor es nachhaltig feucht wird in der Luft. Einkauf von Lebensmitteln, denn die sind an Bord schon sehr knapp geworden. Als ich nach zwei Stunden zurück bin, setzen Wind und Regen mit Macht ein. Ich aber labe mich unter Deck an einem großen Becher Yoghurt mit Erdbeeren. Das ist mein Abendessen, köstlich! ... und kein Vergleich mit dem, das mir dort sonst so angeboten wird.

044 Zum Schlafen ist es noch viel zu früh. Ich räume mal wieder auf, was inzwischen von höchster Wichtigkeit ist, ich pussele herum, dann mache ich es mir mit einem schönen Becher Grog gemütlich auf der Steuerbord-Salonbank, die auch meine Koje ist. Das Teelicht brennt und verbreitet Wärme, draußen aber pfeift der Wind und der Regen trommelt auf Deck. Ich ziehe mir den Schlafsack über, während schöne Musik dem Radio entströmt. Händel, wie angenehm!

045 Ich hatte es schon gesagt: Auch letztes Jahr war ich schon hier, damals auf der Rückfahrt von der Oder. Diesmal bin ich leider nicht so weit gekommen, aber ich will doch auf jeden Fall durch den ELBE-LÜBECK-KANAL gehen, um in Wedel beim Zusammentreffen unserer alten Marine-Crew pünktlich anwesend zu sein. Der Termin ist zwar für mich ein wenig unglücklich, aber andererseits wollte ich ohnehin einmal den ELK befahren. Immerhin hat hier die Politik Großes vor: Für mehr als 1 Milliarde € soll er für größere Binnenfrachtschiffe ausgebaut werden! Tiefer, breiter und alle Schleusen und Brücken neu! Ob das nun sinnvoll ist, darf sehr bezweifelt werden. Aber sollte es dazu kommen, werde ich als aktiver Segler und Bootfahrer es wohl nicht mehr erleben, hier durch eine intakte Landschaft fahren zu können. So gesehen, ist die Idee, jetzt durch diesen Kanal zu fahren, gut und richtig.

046 Bei all dem Sinnieren fällt mir wieder Kellenhusen ein, das ich am Nachmittag in Sicht hatte. Ich war schon mehrere Male dort: Zuerst als 13 Jähriger, wo ich - im Saarland aufwachsend - hier zum ersten Male überhaupt das Meer gesehen hatte, dann gut ein Dutzend Jahre später bei einem Kurzurlaub und nicht ganz allein und zuletzt ein drittes Mal vor gar nicht so ganz langer Zeit. Daran musste ich auch letztes Jahr denken, als ich recht nahe dort an der Seebrücke vorbeifuhr. Damals schoss mir ganz spontan ein Gedicht durch den Kopf, das ich aufschreiben musste, um es aus dem demselben wieder heraus zu bekommen. Ein Gedicht, in dem alte und weniger alte Erinnerungen verarbeitet sind, in dem sich aber auch ganz sicher die Realität vermischt mit einer Fiktion, wie sie sich dem Einhandsegler nach einer fast 4-wöchigen Seefahrt durchaus schon einmal aufdrängen kann. Siehe Anhang, Position 5. aber nur falls Interesse besteht.

Tag 9, Samstag, Neustadt/ Holstein

047 Wenn es eine Neustadt gibt, sollte es da nicht eine Altstadt geben? Ja, die gibt es, die hieß Krempe und lag weiter landeinwärts. Ursprünglich war der Ort eine unbedeutende slawische Siedlung, nach der Eroberung durch die Holsteiner Grafen im Zuge der Christianisierung und Ostkolonisation war der Ort ab 1170 n. C. in deutscher Hand und wurde zu einem deutschen Standort gemacht. Eine Burg entstand, und ab 1190 wurde eine Basilika gebaut, die heute noch Bestand hat. Nach dem Sieg über die Dänen, die für kurze Zeit alles Land bis weit nach Mecklenburg hinein unter Kontrolle hatten, wurde 1244 (4 Jahre nach Kiel) die "Neustadt" gegründet, und aus Krempe wurde das heutige Altenkrempe. Seitdem völlig unbedeutend, aber neben der Basilika steht noch ein ehemals adeliges Gutshaus, immer noch von Wall und Graben umgeben. Neustadt dagegen, günstiger am Wasser gelegen, hat sich entwickelt und hat heute über 16000 Einwohner. Die alte Siedlungsstruktur mit dem Marktplatz und der Kirche in der Mitte ist weitgehend erhalten, von der ehemaligen Stadtbefestigung existiert noch das Kremper Tor. Von besonderem Interesse sind daneben die besagte backsteingotische Stadtkirche von 1244 und der Pagodenspeicher am Binnenhafen. Neustadt ist - um es kurz zu sagen - eine sehenswerte Kleinstadt mit Herz und viel Strand zur Ostsee hin.

048 Entgegen der Vorhersage regnet es nicht. So mache ich mich schon früh auf zur Stadt, um 9 Uhr bin ich beim Bäcker und lasse mir in bester Coronamanier das Frühstück servieren. Anschließend wandere ich durch die hübsche Innenstadt und gebe auch leider wieder Geld aus. Beim Yachtausrüster spendiere ich meinem Boot eine neue Buglampe, das Glas der alten war gerissen, seit ich 1998 mit Hans Böhnisch ( ehemals Hafenmeister und langjähriges Clubmitglied, die älteren kennen ihn noch) nach Skagen unterwegs war. Ich hatte damals gesagt: Wir legen an mit Backbord, er hörte aber nur Backbord, schob den Bug nach links, und schon knirschte es. Nun ist also endlich der Schaden behoben. (Eine LED-Lampe, die seit langem auf Halde liegt, war nicht passend einzubauen.)

049 Nachmittags öffnet der Himmel seine Schleusen, was mich erkennen lässt, dass das Backbord-Salonfenster ganz erheblich leckt. In einer Regenpause wird der Schaden behoben, mit Bordmitteln: transparentes Packetklebeband! Klebt wie Sau und dichtet gut.

Tag 10, Sonntag

050 Schon um 0600 Uhr auf dem Wasser. Ich wollte den Wind austricksen, aber es kam umgekehrt. Kaum war ich auf der Ostsee, da war der Wind in voller Stärke wieder da. Und merkwürdigerweise immer genau von vorne. Langsam nervt es!

051 Eigentlich war Südwest 6 bis 7 angesagt, da hätte ich auf dem kurzen Stück nach Travemünde halben Wind gehabt, aber wie ich auch fahre, er kommt immer von vorn. Und ganz besonders, als ich auf der Trave unterwegs bin! Hier in Travemünde schadensfrei anzulegen, das ist hoffnungslos. Kein Mensch weit und breit, und einen weiteren Schaden auf dieser Reise will ich ganz bestimmt vermeiden. Also Weiterfahrt traveaufwärts, an der Stadt vorbei, an den Fährterminals vorbei, am Dassauer See vorbei. Um 1000 Uhr bin ich in Schlutup, doch hier gibt es keinen Mastenkran. Also noch einmal um eine windige Huk herum nach Lübeck-Siems zur Marina am Stau. Ich lege an, aber nach einer Stunde, in der ich gefrühstückt habe, wird mir gesagt, dass ich den Liegeplatz zu räumen habe. Also verlege ich unter den Mastenkran.

052 Es ist Sonntag, kaum jemand ist im Hafen bei dem nasskalten und windigen Wetter. Beim Hafenmeister hängt ein Zettel: Die Marina ist im "Lock down", zur Zeit werden keine Gastlieger angenommen! Das klingt unerfreulich. Aber nebenan gibt es einen Segelclub, ich gehe hinüber und peile die Lage. Ein kurzes Gespräch, dann habe ich einen guten Liegeplatz, auf den ich das Boot gleich anschließend überführe. Schön und windgeschützt ist es hier im Hafen des Seglervereins Trave. Abends bezahle ich meine 10 € Liegegebühr, verabrede das Kranspiel mit dem Hafenmeister für den nächsten Morgen (mit Hafenmeisterhilfe 25 €) und dann gönne ich mir ein schönes Bauernfrühstück im Clubrestaurant. Natürlich coronamäßig "open air" auf dem weitläufigen Balkon, aber im Schutz einer großen Markise, auf die der Regen jetzt ungehemmt niederprasselt.

Tag 11, Montag, Lübeck-Siems

053 Gestern hatte ich mit meinem Lübecker Freund und Bundesbruder Jürgen telefoniert, der mich erwartet. In Lübeck soll ich die Kanaltrave nehmen, die auf der Ostseite der Innenstadt entlang fließt und bereits der Anfang des ELKs ist. Vom Hafenmeister hatte ich gehört, dass man östlich wie westlich fahren kann, alles sei möglich. Dann dürfte es ja kein Problem geben.

054 Um 0630 Uhr liegt mein Boot unter dem Kran, um 0815 erscheint der Hafenmeister und los geht es mit Legen des Mastes. Ich hatte schon alles vorbereitet, nun geht es schnell. Um 1050 Uhr bin ich auf dem Wasser, und schon habe ich wieder 6 Windstärken von kalter Qualität von vorn.
Eigentlich wollte ich das doch nicht mehr.

0555 Kurz vor Mittag bin ich an der Teerhofinsel vorbei, nach einer Rechtskurve habe ich die beeindruckende Skyline von Lübeck vor mir. Von den 7 Türmen der Stadt sind immerhin 6 zu sehen. Da haben die mittelalterlichen Seefahrer beim Einlaufen nach Lübeck ganz sicher große Augen gemacht, als sie so unvermutet dieses Bild von Pracht und Macht vor Augen hatten!

056 Punkt 1200 bin ich am Burgtor, die Straßenbrücke dort erscheint mir ziemlich niedrig. Auf Kanal 18 bekomme ich Kontakt: die lichte Höhe beträgt 2,50 Meter! Für mich zu wenig, obwohl der anhaltende Süd-Westwind das Wasser aus der Trave getrieben hat und den Wasserspiegel um ca. einen halben Meter hat absinken lassen. Trotzdem, die achterliche Maststütze ist recht hoch und das Mastende noch höher! Ich will da nichts riskieren. So fahre ich nun weiter in den westlichen Travearm, Untertrave genannt. Voraus kommt ein Touristenboot vom Typ "Bateau mouche" aus einer Brücke heraus, da könnte ich es doch auch versuchen. Mit dem Bug bin ich schon unter der Brücke, dann mit dem Mittelschiff,und ein kritischer Blick geht hoch zum Mastende am Heck. Das wird nichts, Roland! In letzter Sekunde ziehe ich wieder zurück.

057 Jetzt reicht es mir, auf Kanal 18 erbitte ich die Brückenöffnung zur Kanaltrave. Selbstverständlich hatte ich mit einer ausgiebigen Wartezeit gerechnet, bin aber sehr überrascht, als es heißt: Geht gleich los!

058 Schon Minuten später bin ich auf der Kanaltrave. Parks zu beiden Seiten, kein Wind zu spüren, alle Brücken sind hoch genug und gelegentlich wird ein beeindruckender Blick frei auf die Stadt. Eine wahre Idylle und Oase der Ruhe, trotz des großen Frachtschiffs, das mir entgegenkommt!

059 Am südlichen Abzweig zur Untertrave bin ich schon vorbei, die letzte Brücke ist die Possehlbrücke, dann sehe ich schon die Motorboothäfen an Steuerbord voraus. Nachdenklich macht mich allerdings die Tonnenlinie, die auf dieser seeähnlichen Verbreiterung der Wasserfläche das Fahrwasser des ELK markiert.Und als ob ich es geahnt hätte, schon bin ich auf Grund. Und der hier wieder ungebremst heranwehende Südwestwind schiebt mich immer weiter drauf. Jetzt aber schnell das Schwert höher, bevor es zu spät ist! Ich komme frei, aber bei einem nächsten Versuch bin ich schon wieder aufgelaufen, jetzt allerdings mit hochgezogenem Schwert. "Roland, das wird nichts!", sage ich mir, fahre ein paar Kringel im Tiefen, um mit Jürgen zu telefonieren. Dann ist es klar: Möglicherweise ist es hier ohnehin sehr flach, und erschwerend kommt nun hinzu, dass der Wasserstand so stark abgesunken ist. Also: Nichts mit anlegen, weiterfahren im ELK, irgendwann wird sich schon ein Kai anbieten.

060 Schneller, als erwartet, bin ich an der Schleuse Büssau. An Steuerbord liegt ein Motorboot auf Warteposition, dort gehe ich mit freundlicher Genehmigung längsseits. "Zwei Stunden Wartezeit!", sagt der Skipper, aber dann kommt der Schleusenmeister hinzu und ruft zu uns rüber: "Gleich kommt ein großes Frachtschiff. Wenn es in der Schleuse festgemacht und die Welle abgestellt hat, lauft Ihr ein und macht an Backbord fest! Danach geht es im Konvoi weiter.

061 Genau so wird es gemacht: 1615 ist Büssau passiert, 1630 Schleuse Krummesse, 1730 Berkenthin, 1820 Behlendorf. Schöne Landschaft ringsumher, aber der Wind kommt immer noch stramm von vorn und ist gelegentlich von Regen eskortiert. Um 1930 Uhr Halt vor der DONNERSCHLEUSE von Lankau. Hier geht nichts mehr, hier ist Feierabend. Das Frachtschiff macht an Steuerbord fest, die beiden Sportboote auf der Ostseite.

062 Als es dämmert, lässt der Wind nach. Ich nutze den Moment, über die Schleuseneinfriedung zu jumpen und einen längeren Spaziermarsch zu beginnen. Ich muss endlich mal wieder die Beine bewegen! Erst der einsetzende Regen treibt mich wieder zurück, es folgt ein ruhiger Abend. Ringsherum nur stille Landschaft, und die Brücke, die über die Schleuse geht, ist kaum befahren.
Grogtime unter Deck!

Tag 12, Dienstag, Donnerschleuse bei Lankau

063 Schon um 0530 Uhr bin ich auf. Der Rundblick durch die Fenster ist erfreulich: Schönes Wetter, kein Wind, alles ruhig. Aber nicht mehr lange, denn um 0600 Uhr soll der Schleusenbetrieb wieder beginnen. Also hoch von der Koje und seeklar machen!

064 Auf dem Frachtschiff herrscht schon reges Leben, doch beim Motorboot hinter mir rührt sich noch nichts. Ich werfe die Maschine an, nehme die Leinen ein, ziehe rückwärts raus und gehe auf Warteposition. Doch dann kommt auch das Motorboot angefahren. Dann geht die Schleuse auf und bietet ihre Dienste an.

065 Dieses Mal geht es schnell mit dem Durchschleusen, wieder wird unser Konvoi 2 Meter gehoben und befindet sich nun auf der Scheitelstrecke des Elbe-Lübeck-Kanals. Die gemächliche Fahrt an diesem wundervollen Sommermorgen führt uns erneut durch Landschaften, deren Lieblichkeit erst jetzt, im Licht der angenehm wärmenden Sonne, deutlich wird. Auch die Vögel in den Bäumen und Büschen am Ufer scheinen das so zu sehen, denn gestern hörte man überhaupt nichts von ihnen, heute ist jedoch die Luft erfüllt von ihrem Gesang.

066 Der ELK wurde erst um das Jahr 1900 herum erbaut als Nachfolger für den berühmten Stecknitzkanal, über den fast 500 Jahre lang der Salztransport von Lüneburg zur mächtigen Hansestadt Lübeck verlief. Er ist knapp 65 km lang und führt bei Mölln durch den Ziegelsee. Genau dort will ich heute hin. Ich hatte zwar mit dem Motorbootskipper darüber gesprochen, aber ich muss mich auch selbst schlau machen. Intensiv durchsuche ich die Seiten auf dem Handy, dann habe ich alles. Was ich aber nicht habe, ist eine genaue Karte.

067 Als ich wieder nach vorne sehe, sind die beiden Schiffe vor mir außer Sicht gekommen. Zumindest das Motorboot, das ebenfalls nach Mölln will, hätte mir den Weg durch den See zeigen können. Und schon erkenne ich voraus den großen Getreidespeicher von Mölln, der Ziegelsee ist erreicht.

068 Schifffahrtstonnen markieren den Weg des ELK im äußersten Westen des Sees, der sich weit nach Osten erstreckt. Ich fahre ein, und schon gibt das Echolot Alarm. Nur noch 20 Zentimerter Wasser unter mir! Ich versuche es danach an anderer Stelle, aber auch hier ist es nicht besser. Hätte ich doch das Motorboot nicht aus den Augen gelassen!

069 Frustriert werfe ich den Anker. Wenn schon Pause, dann wenigstens eine mit Frühstück! Noch während ich den Kaffee schlürfe, bearbeite ich erneut mein Handy. Endlich habe ich eine brauchbare Adresse. Aber noch ist es sicher zu früh, den Hafenmeister der kleinen Marina am Nordufer des Sees, irgendwo hinter einer der bewaldeten Landnasen verborgen, zu belästigen. Also, noch Zeit fürs Frühstück an diesem ruhigen und sonnigen Morgen.

070 0900 Uhr. Zu dieser Tageszeit sollte es angemessen sein zu telefonieren. Und schon habe ich den engagierten Hafenmeister am Rohr, der mich zu seiner Marina lotsen will: "Fahren Sie in südlicher Richtung den ELK entlang, bis Sie an Steuerbord das große weiße Reetdachhaus haben, von dort im rechten Winkel, aber unter Beachtung der Mittelgrundtonne, nach Osten auf den See, bis Sie die Marina am Nordufer sehen. Ich stehe auf der Anlegebrücke und winke Ihnen zu!" Das war nun eine Ansprache, wie sie besser nicht sein konnte. 30 Minuten später liege ich fest am Steg in einer Umgebung, die man wirklich nur idyllisch nennen kann.

071 Kurz nach Mittag taucht Jürgen, inzwischen informiert über die Lage der Dinge, auf dem Fingersteg meines Liegeplatzes auf. Nun sind wir also doch noch zusammengekommen. Wenig später sitze ich bei ihm im Auto auf dem Weg nach Lübeck, das nur 25 km entfernt ist. Doch unterwegs machen wir in einem "Friedwald" den Besuch bei einem verstorbenen Bundesbruder, dessen Urne dort begraben ist, danach gönnen wir uns, das herrliche Wetter ausnutzend, einen ausgedehnten Kaffeeklatsch mit schönen Gesprächen in der Nähe der Fahrschauer Wassermühle, dann sind wir in Jürgens noblem Bürgerhaus aus der Gründerzeit, das im Südosten, ganz in der Nähe der Lübecker Innenstadt gelegen ist.

072 Erst einmal eine Dusche, später gibt es ein Essen mit köstlich gerösteten Speer-Rippen aus dem nahe gelegenen Restaurant, auf die ich trotz meiner Neigung zur Gicht keineswegs verzichten will. Abends folgt ein ausgedehnter Rundgang durch die Stadt, bis uns der Regen zurück treibt. Danach ins Bett, in ein großes weiches Bett, das so ganz anders ist, als meine schmale harte Koje an Bord. Und endlich einmal ausschlafen ohne die lästigen Schmerzerscheinungen an der Hüfte!

Tag 13, Mittwoch, Lübeck, Mölln

073 Bestens ausgeschlafen und ohne den leisesten Schmerz im Hüftbereich verspürt zu haben, bin ich um 10 Uhr, wie verabredet, am Frühstückstisch. Ein frisch gebrühter Kaffee erwartet mich, danach ein Spiegelei mit Speck auf Toast. Was für ein Luxus zum Beginn des Tages! Kurz nach Mittag, nachdem mich auch der überwiegende Teil der Familie ausreichend beschnuppert hat, bringt mich Jürgen zum Bus. Damit beginnt eine Fahrt über die Dörfer nach Mölln, die mich überhaupt keinen Cent kostet, da der Fahrer sich aus Coronagründen weigert, mein Geld anzunehmen. Komische Welt, in Kiel hatte man sogar auf mein Fahrgeld bestanden!

074 1630 Uhr bin ich in Mölln, Nähe Altstadt. Die im Kreis Herzogtum Lauenburg gelegene, immerhin 19 000 Einwohner zählende Stadt ist recht weitläufig und zieht sich ganz um den Ziegelsee herum. Das wahre Leben jedoch spielt sich aber nur hier in der Hauptstraße und auf dem nahegelegenen Kirchberg ab. Bei dem Besuch eines der Straßencafés komme ich mit dem Tischnachbarn - über die geforderten 2 m Corona-Abstand hinweg - ins Gespräch, der mich am Ende einlädt zu einer "Nachtwanderung durch Mölln". Das Handy leitet mich danach zum besagten Kirchberg, wo ich Till Eulenspiegel, den berühmtesten Sohn der Stadt, begrüße und mir die sehenswerte Kirche ansehe. Dann beginnt der Regen, der stetig stärker wird und mich anspornt, den immer noch weiten Weg zur Marina zügig hinter mich zu bringen. Ich durchstreife baumreiche Vorortgegenden, komme an Seen und Wasserläufen vorbei, dann bin ich im Wald, bis der Weg vor dem Bootshaus endet, wo ich mich bei dem rührigen, 80jährigen Hafenmeister zurück melde. Doch die Nachtwanderung schenke ich mir, ich bin schon nass genug.

Tag 14, Donnerstag, Mölln, Hafenliegetag

075 Seit gestern regnet es, und auch heute wird es den ganzen Tag regnen. Ich bleibe an Bord, wo sich - trotz des abgedichteten Salonfensters - langsam eine Kühle und Feuchte ausbreitet. Nachmittags reicht es mir: Ich bringe das Elektrokabel aus und schließe meinen kleinen Heizquirl an. Mit seinen gerade einmal 440 Watt hat er noch nirgends die Sicherung herausfliegen lassen, und Strom ist im Preis mit drin.

076 So wird es doch gleich schon wieder gemütlich an Bord. Ich lese und sinniere, und über das Handy bin ich, wie fast täglich, mit der Lady zu Haus verbunden. Es gibt viel zu regeln, das Finanzamt beschwert sich, vergessen worden zu sein, Rechnungen sind eingetrudelt, auch in Sachen des von mir angerichteten Bootsschadens wird telefoniert. Ansonsten liege ich lässig auf der Salonbank und sehe dem Regen zu, wie er vom Himmel fällt.

077 Abends will ich mich zum Spaziermarsch aufraffen, um "endlich mal in die Hufe zu kommen", doch leider komme ich nicht weit. Unter dem Vordach des Bootshauses hat sich eine kleine Klönschnackrunde gebildet, zu der ich hinzugebeten werde. Da bezahle ich dann gleich das Hafengeld (30 € für 3 Nächte) und bekomme umgehend ein Bier spendiert. Trotzdem ist es kühl und feucht, zumindest so lange, bis einer aus der Runde eine Flasche Schnaps auf den Tisch stellt.

Tag 15, Freitag, Schleuse Witzeeze, Geesthacht

078 Um 0730 Uhr bin ich auf dem Wasser. Die Welt um mich herum ist nebelverhangen, es regnet ununterbrochen - mal mehr, mal weniger. Zehn Minuten später bin ich auf dem ELK, Kurs Süd, und ganz allein auf weiter Flur. Nach einer Stunde passiere ich die Fähre Siebenbäumen, die Feuchte hat auch diese sonst sicher sehr idyllische Gegend im Griff, kein Mensch vor Ort, alles wie verlassen.
Um 1010 Uhr bin ich vor der Schleuse Witzeeze, und die zeigt Rot. Deshalb lege ich mit Steuerbordseite an. Auf meinen UKW-Anruf reagiert niemand, überhaupt, eine längere Zeit passiert hier gar nichts. Dann aber fahren einige Sportboote, von Süden kommend, ein, werden zu mir hoch geschleust und verschwinden in Richtung Nord im Nebel. Da zeigt das Licht Grün, ich fahre ein und mache ganz vorne an Backbord fest. Wieder passiert eine Weile nichts, außer dass mir der Himmel auf den Kopf tropft. Doch dann läuft auf meiner Seite ein Konvoi ein, angeführt von einem ziemlich großen uralten Feuerlöschboot.

079 Wir werden nun 2 Meter abgesenkt, aber auch das geht recht langsam vonstatten. Doch irgendwann ist es geschafft, und ich ordne mich als letzter in den Konvoi ein. Auch jetzt geht nur langsam voran, doch die Nässe kühlt mich so aus, dass meine Fingerkuppen ganz gefühllos werden. Selbst die Handschuhe wollen nicht über die klammen und durchgeweichten Hände. Ja, geht es denn noch! Wir haben doch Hochsommer in Deutschland!

080 Um 1215 Uhr stehen wir vor der Schleuse Lauenburg und auch diese zeigt nur Rot. Also festmachen, aber nur wenig Platz steht den Sportbooten dafür zur Verfügung. Ich, als letzter des Konvois, kann sehen, wo ich bleibe.
So mache ich in strömendem Regen, aber mit freundlicher Genehmigung und Unterstützung am Feuerlöschboot fest. Danach verhole ich mich für einen Augenblick unter Deck, und werfe meinen Spirituskocher an, der Wärme bringt und mir das Kaffeewasser bereitet. Aber bis dahin nehme ich erst einmal einen ordentlichen Schluck vom TISSERAND, dem guten alten Erbstück aus dem Fundus der Großeltern. Wenn man, wie mir seit meiner Marinezeit bekannt ist, selbst "Damen, bei denen es Not tut, schön saufen kann", dann sollte das doch beim Wetter auch möglich sein! Oder nicht?

081 Aber der Regen zeigt sich unbeeindruckt. Doch, nun mit der heißen Kaffeetasse in der Hand, komme ich in näheren Kontakt mit dem Feuerlöschboot. Eine flotte Rentnertruppe ist dort unterwegs. Besonders ergiebig ist die Unterhaltung mit dem Heizer, von ihm erfahre ich, dass es in Geesthacht einen schönen Sportboothafen in Stadtnähe gibt, der in meinen Elbekarten gar nicht verzeichnet ist. Selbst die Satelliten-Bilder von Google zeigten diesbezüglich nichts.

082 Im Dauerregen schleusen wir durch, doch auch auf der Elbe zeigt mir das Wetter die kalte und nasse Schulter. Aber in dieser Trübnis interessiert mich die sonst so schöne Stadt Lauenburg nicht, die ich eigentlich fest eingeplant hatte. Also weiter, nun mit Unterstützung der Elbströmung, was sich auf der Logge sogleich bemerkbar macht. ... Das Feuerlöschboot braust davon, man will nach Hamburg, schade, mit diesen Jungs hätte ich noch Spaß haben können. Doch so bin ich wieder allein unterwegs und fahre "Fahrrinne", wie es die gelben Baken an Land verlangen. Denn außerhalb der Spur scheint die Elbe an manchen Stellen ziemlich flach zu sein.

083 Um 1430 Uhr bin ich im vorbenannten Hafen von Geesthacht, ein einfach anzusteuernder Liegeplatz ist frei, sogar der Skipper eines Motorboots, das ich unterwegs schon einige Male gesehen habe, springt herbei und nimmt die Leinen an. Danach sehe ich zu, dass ich zügig die Plichtpersenning aufgespannt kriege, unter Deck den Kocher in Betrieb nehme und mir ein Heißgetränk zur inneren Erwärmung bereite. Dabei fällt mir ein: ich habe doch auch in dieser Gegend einen altbekannten Bundesbruder wohnen: Rechtsanwalt und Notar im nahen Reinbek, wohnhaft kaum 10 Kilometer entfernt. Da will ich doch wenigstens einmal telefonisch "Guten Tag" sagen. Ich rufe an, und ganz spontan sagt er zu, an Bord zu kommen!

084 Eine knappe Stunde später ist er da. Aber nicht allein! Er wird begleitet von einem Tablett von feinstem Kuchen in verschiedenen Ausführungen. Das ist ja toll! So haben wir noch einen schönen Nachmittag mit Klöhnschnack und Kaffeeklatsch. Am frühen Abend, als er wieder abfährt, scheint sogar die Sonne. Hatte der TISSERAND also doch eine Wirkung gehabt?

Tag 16, Samstag, Geesthacht

085 Die Frage dieses Morgens war, ob der TISSERAND seine wohltuende Wirkung auf das Wetter entfaltet haben könnte. Die Antwort lautet: Ja! Draußen scheint doch tatsächlich die Sonne. Unglaublich! Dennoch habe ich an diesem frühen Morgen alle Zeit der Welt, denn die Tide der Elbe, die bis zu Schleuse und Wehr Geesthacht wirkt, läuft noch auf.

086 Bereits im Jahr zuvor, als ich von der Oder zurück kam, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, den Rückweg über den ELK zu nehmen. Letztlich fiel die Entscheidung erst, nachdem ich aus Neustadt/ Holstein ausgelaufen war, und die Lage gepeilt hatte. Ungünstiger Wind und tiefschwarze Wolken über Lübeck hatten mich aber dann doch von diesem Vorhaben absehen lassen. Und wie richtig diese Entscheidung gewesen war, das konnte man einige Tage später aus allen Medien erfahren: Nach einem Unfall am Geesthachter Wehr war die ganze Oberelbe flussaufwärts davon leer gelaufen. Da hätte ich wohl eine volle Woche im Lauenburger Hafenmodder verbracht! Oder noch schlimmer: irgendwo auf Grund und fern vom Land!

087 Doch jetzt läuft alles glatt. Um 11 Uhr bin ich am Warteschlängel, wenig später in der Schleuse und kurz danach auf der Unterelbe Doch die empfängt mich auch hier, wie man sie kennt: Rauh und kalt, und der Wind bläst wieder heftig von vorn. Sogar schwarze Wolken ziehen plötzlich heran, die ihre Last gleich mehrfach über mir und meinem Boot ablassen. Doch bei Zollenspieker, wo zu früheren Zeiten die letzte große Fährstation war, bevor sich die Elbe in zwei Hauptarme und viele Nebenarme aufteilte. Doch auch jetzt teilt sie sich noch, und zwar in die Norder- und die Süderelbe. Die letztere steuere ich an, bin ich doch der Meinung, im dortigen Bootshafen von HH-Harburg-Neuland vor dem böigen und kalten Wind geschützt zu sein. Genau so ist es auch: kaum ein Lüftchen behindert mein Einhand-Anlegemanöver, aber hilfreiche Hände nehmen meine Leinen entgegen. Und hier treffe ich doch tatsächlich nach längerer Zeit wieder etwas an, das man Sommer nennen könnte.

088 Abends mache ich einen langen Marsch, meist über den Deich und diverse Deichstraßen, an deren Binnenseiten urige alte und vornehme neue Häuser kleben, bis in die Außenbezirke von Harburg. Auf dem Rückweg entscheide ich mich zu einem Abstecher zur "Inselklause", einer bekannten Gaststätte auf einer von Bäumen und Büschen zugewachsenen Halbinsel. Der Luxus, den ich dort antreffe, erreicht - sagen wir es mal so - leider nicht ganz den Standard meines Bootes. Doch die Aussicht auf die Elbe ist schön, und das Bier schmeckt.

Tag 17, Sonntag, HH-Harburg/Neuland

089 Fünf €uro verlangt der Hafenmeister von mir, doch 10 gebe ich ihm. Dafür sagt er mir lachend: So kannst Du immer wieder kommen!

090 Ich passiere im schönsten Sonnenschein die ersten Brücken, dann bin ich im Hafenbereich, wo 400 Meter lange Supercarrier entladen werden. Ich unterquere die Kattwik-Brücke, die sehr niedrig ist, aber für mich nicht geöffnet werden muss, und danach die Köhlbrandbrücke, deren Tage - wie man hört - gezählt sind. Einen kleinen Schlag in die Norderelbe will ich noch machen, aber erst einmal drängt mich ein Schleppzug ab. Doch dann habe ich die beeindruckende Skyline von Hamburg vor Augen, inclusive aller Türme, vieler Hafenkräne und der ELBPHILHARMONIE. Zwar steht die Tide entgegen, aber hier pfeift wieder der Wind aus Nordwest heran, und der schiebt.

091 Doch bald drehe ich ab, leider habe ich jetzt wieder den Wind und damit eine kabbelige Welle von vorn, dafür bin ich jedoch wieder im Genuss der schiebenden Tide. Als ich Blankenese Steuerbord voraus habe, telefoniere ich mit meinem Bruder. Er hat von seinem Balkon aus einen begrenzten Ausblick auf die Elbe, da wäre ein kurzer Sichtkontakt doch schön. Was soll ich sagen: Er gelingt, wenn auch Einzelheiten nicht zu erkennen sind auf diese Entfernung.

092 Um 1530 Uhr bin ich im weitläufigen "Hamburger Hafen" von Wedel fest. Hier bläst nun nichts mehr, dafür zeigt sich die Sonne immer noch von ihrer angenehmen Seite. Dies zu nutzen gönne ich mir zur Abendbrotzeit ein deftiges Bauernfrühstück im Freiluftbereich des Restaurants "Tonne 122", von dem man einen schönen Blick auf all die Boote hat, die hier liegen, und auf manchen dicken Dampfer, der auf der Elbe vorbeifährt. Die Kanone, die dort steht, ist eine Salutkanone, die nicht mehr in Benutzung ist.

Tag 18, Montag, Wedel

093  Eigentlich bin ich viel zu früh hier in Wedel, denn das Marinetreffen, das der eigentliche Grund meiner Anwesenheit an diesem Ort ist, findet erst am Donnerstag statt. Aber die widrigen Winde unterwegs hatten mich davon absehen lassen, von Poel weiter nach Osten segeln. Denn dieses von langer Hand geplante und durch Corona weit nach hinten verschobene Treffen mit den alten Kameraden der Marine zu verpassen, das wollte ich jedoch auf keinen Fall riskieren. Nun bin ich aber so zeitig da, dass ich mich in aller Ruhe kümmern kann - um mich, um Freunde und Verwandte in der näheren Umgebung sowie um mein Boot, dessen Mast immer noch an Deck liegt. Letzteres kann und soll sich jetzt, da alle störenden Brücken passiert sind, ändern.

094  Nach Erledigung des Hafengeldes und entsprechender Genehmigung durch den Hafenmeister verlege ich das Boot unter den Mastenkran. Wenig später erscheint, wie abgesprochen, mein Bruder aus dem nicht weit entfernten Blankenese. Ich merke es gleich, zu zweit geht die Arbeit viel besser von der Hand, verglichen mit damals vor 2 Jahren, als ich alles allein machen musste. Schnell steht der Mast. aber als ich die Wantenspanner anziehe, kommt das achtere Backbord-Unterwant von oben. Aber kein Problem, noch haben wir den Kran zur Verfügung! Im Bootsmannsstuhl lasse ich mich in die Lüfte kurbeln. Ein Sprengring ist verlorengegangen, der Bolzen hat sich - da abgetaped - nur zum Teil gelöst und ist noch da. Ein Ersatzring ist griffbereit an Bord, und mit etwas Fingerspitzengefühl sowie der richtigen Zange ist auch der Schaden schnell und unbürokratisch behoben.

095  Als sich mein Bruder wieder auf sein Fahrrad geschwungen hat, um nach Hause zu radeln, fahre ich das Boot auf den Liegeplatz zurück. Aber dann muss ich doch noch einmal in den Mast, auf der von mir vor vielen Jahren eingebauten Wantenleiter (ähnlich wie die Webleins bei der GF, aber aus Draht) klettere ich hoch zur Saling, von dort über Maststufen ganz nach oben. Mit einigen Handgriffen sind die Spinnengewebe beseitigt und der Windanzeiger funktioniert wieder.

Tag 19, Dienstag, Wedel

096  Ausgedehnter Landgang in Wedel. Besuch in der Zahnarztpraxis eines Freundes und früheren Kollegen, doch ich merke, mich zieht es immer noch dorthin, wo gebohrt wird. Danach Besuch bei dem "Roland" auf dem Marktplatz, der deutlich kleiner ist als der "Roland am Rathaus zu Bremen", aber auch nicht schlecht und vor allem ... in Farbe! Im Nieselregen zurück.

Tag 20, Mittwoch, Wedel

097  Erneuter Landgang nach Wedel, das in einiger Entfernung liegt, diesmal zum Einkauf. Später Telefonate in Sachen Schadenregulierung. Boots- und Maschinenkontrolle. Morgen soll das Marine-Crewtreffen auf der Terrasse des nahe gelegenen Restaurants ELBE 1 stattfinden. Ich bin gespannt!

Tag 21, Donnerstag, Wedel, Tag des Marinetreffens

098  Noch in der Woche zuvor hatte der Wetterbericht äußerst dürftig ausgesehen, doch schon als der Morgen anbrach, war klar, dass alles bestens sein würde. Früh scheint eine freundliche Sonne, der Wind, der sich so oft auf dieser Reise als sehr ungnädig gezeigt hatte, hält sich erfreulicherweise völlig zurück, und bald ist es auch so angenehm warm, wie man es - besonders zu Corona-Zeiten - bei einer Zusammenkunft unter freiem Himmel braucht. Überhaupt, dieser Tag ist so ganz anders, als alle anderen auf meiner Fahrt. Denn gegen 11 Uhr erscheint die Dame meines Herzens und Herrin meines Hauses! Das ist insofern schon bemerkenswert, weil ein solcher Besuch schon so oft auf meinen Einhandfahrten eingeplant, aber nie realisiert worden war.

099  Kurz nach 12 Uhr - es ist ja bekanntermaßen so, dass diejenigen mit der kürzesten Anreise immer ein wenig zu spät kommen - sind wir am Ort des Geschehens.

Ein Großes Hallo empfängt uns! Und, ... was soll ich sagen? Ja, es ist wie immer, und ...ja, es ist auch immer wieder schön, mit den Bagaluten von vor mehr als 50 Jahren zusammenzutreffen, mit denen ich so manches größere und kleinere Abenteuer auf See und an Land erlebt hatte.

Doch auch bis jetzt sind wir in solch gutem Kontakt, dass es wieder eine große Freude ist, mit den Kameraden von einst alte, weniger alte und und nagelneue Döntjes "durchzuschieben".

Aber diesmal, dem Alter geschuldet, nicht so wild wie damals, sondern gesittet und im Beisein gut gelaunter Ehefrauen.

101  Die Stimmung ist bestens, es wird gegessen, getrunken, gescherzt und gelacht, und sogar ein kleiner Spaziergang hinüber zur Seebrücke vor dem Fährhaus SCHULAU, wo die Schiffe begrüßt werden, ist möglich, zumindest für die, die es wollen. Doch für alle ist der Blick von den gastlichen Tischen frei auf die Badenixen am Strand und auf die Schiffe, die von und nach Hamburg auf der diesmal so blauen und ruhigen Elbe unterwegs sind.

102  Am späten Nachmittag fahren wir hinüber nach Blankenese und sind in der neu bezogenen Eigentumswohnung bei Bruder und Schwägerin zu Gast, wo wir auf dem weitläufigen Balkon schöne Gespräche bei Kaffee und (nur ganz wenig) Kuchen haben. Die Übernachtungsfrage ist längst geregelt, bevor wir ins Auto steigen zur Fahrt ins benachbarte HH-Rissen. Hier im "bescheidenen" Domizil - exklusiv gelegen am Wald, der sich bis zur Elbe hinunterzieht - genießen wir die Gastfreundschaft meines Freundes und seiner Frau sowie ein höchst geselliges Abendessen in der lauschigen Atmosphäre der hereinbrechenden Nacht. Gegen 2230 Uhr sind wir zurück in Blankenese.

Tag 22, Freitag, Wedel, Beidenfleth

103  Nach soviel Luxus, Aufmerksamkeit und Bedienung, die ich in den beiden Tagen zuvor erfahren habe, da muss ich mich jetzt erst wieder in die harte Realität des Bootsalltags einfinden. Noch nicht einmal den Morgenkaffee bekommt man hier gereicht, alles muss man hier selber machen!

104  Doch als ich beim - diesmal recht gut geglückten - Morgenkaffee die Tide checke, bemerke ich, dass ich noch viel Zeit habe bis zum Auslaufen. Also rein in die Klamotten und ab an Land nach Wedel. So komme ich doch noch zu einem verspäteten, aber gehobenen Frühstück in der Wedeler Innenstadt.

105  Um 1310 Uhr lege ich ab, noch ist Stauwasser. Doch die Elbe ist still und ruhig, die Sonne scheint, kein Lüftchen weht. Die großen Container-Riesen sind sind selbstverständlich auch an diesem Samstag unterwegs, allerdings auch viele Segelboote, die das Wochenende nutzen.

106  Wo will ich eigentlich heute hin? Ein Freund in Wischhafen, den ich angerufen habe, meldet sich leider aus Bremerhaven, ist demnach nicht da. Ich könnte durchfahren bis Cuxhaven, aber dort wird am Wochenende gearbeitet (Autos auf die Schiffe fahren zum Versand nach Übersee). Aber ich habe ja noch eine Schwester in einem südlichen Vorort von Itzehoe wohnen, da könnte ich doch nach Beidenfleth, dann mit der Fähre ELSA übersetzen, und danach die restlichen 6 Kilometer zu Fuß absolvieren.
Gute Idee!

107  Nördlich von Glückstadt verlasse ich das Elbfahrwasser und steuere in die Stör ein. Auf meinen UKW-Anruf hin wird das Sperrwerk sogleich geöffnet, doch ab hier muss ich gegen die ablaufende Tide laufen und komme nur langsam voran. Wewelsfleth liegt vor mir, wo der legendäre "Flying-P-Liner" PEKING, der einst für die Hamburger Laeisz-Reederei fuhr, seiner Restaurierung als Museumsschiff entgegensieht. Gebaut 1911 und als Frachtsegler im Dienst bis 1932. Ein mächtiges Segelschiff mit schwarzem Rumpf, 4 hohen Masten und einem kolossalen Bugspriet!

108  Die Fahrt störaufwärts gerät gemächlich wegen der immer stärker werdenden Ebbe, der gar nicht so schmale Fluss schlängelt sich durch die Wiesen, erst um 1930 Uhr bin ich in Beidenfleth. 3 große Flussschiffe liegen an den verschiedenen Ladestellen unter den Getreidesilos, die hier das Bild beherrschen, ich aber finde einen perfekten Liegeplatz am Schlängel des Bootsclubs. So weit, so gut. Aber mein Anruf bei der Schwester war erfolglos und die Fähre ELSA hat soeben die Arbeit eingestellt, da bleibt mir nur ein Rundgang durch den Ort mit der schwachen Hoffnung, eine Gastronomie zu finden. Doch ich habe Erfolg, ich finde den Dorfkrug, der trotz Corona in Betrieb ist. Da sage ich doch nur: Ein Bier, ein Bauernfrühstück!

109  Beidenfleth, das ich anschließend durchstreife, ist ein kleiner Ort am rechten Ufer der Stör mit gerade einmal 800 Einwohnern. Er wirkt auf mich an diesem Samstagabend, so ohne die Aktivität des Hafens, sehr beschaulich und verschlafen, da passt sogar die fast historisch anmutende Ketten-Fähre ELSA ins Bild. Dennoch, es ist ein Rundgang, der das Herz erfrischt.

Tag 23, Samstag, Beidenfleth

110  Die Talfahrt zu nachmittäglicher Stunde auf der Stör geht diesmal zügig vonstatten, denn das ablaufende Wasser, auf das ich so lange hatte warten müssen, schiebt das Boot an mit mindestens 2 Knoten. Schnell bin ich in Wewelsfleht, schnell passiere ich die PEKING, die aus der Nah-Perspektive noch viel gewaltiger aussieht, auch diesmal wird für mich umgehend die Brücke am Sperrwerk geöffnet, und um 1530 Uhr bin ich wieder auf der Elbe. Der hier noch stärkere Ebbstrom würde mich viel schneller vorankommen lassen, stünde nicht sofort wieder ein ungünstiger Wind entgegen, der sogar noch weiter zunimmt. Besonders vor Brunsbüttel, wo die Elbe auf Westkurs geht, pfeift er heran und erzeugt eine kabbelige Welle, die mir jede Laune nimmt. Wind gegen Strom, wer es kennt, der weiß, was ich meine! 111  Ich bin schon auf dem Weg zum Backbord-Nebenfahrwasser, aber Schiffsverkehr treibt mich wieder zurück. So komme ich unverhofft wieder in die Nähe der Schleuse, die - für mich ganz überraschend - plötzlich öffnet. Was ist denn hier los? Üblicherweise hat man - und das auch erst nach erfolgter Anmeldung über UKW - mindestens eine Stunde zu warten, manchmal auch sehr viel länger! Doch auch wenn ich mich über diesen Vorgang wundere, ich fasse das jetzt einmal als Wink des Schicksals auf! Schnell bin ich drin, schnell bin ich durch, und selbst im Yachthafen auf der Kanalseite finde ich gleich ein Boot, dass mich längsseits gehen lässt.

112  Selbstverständlich bin ich erfreut über diese unverhoffte Wendung, und dies gebe ich gern zum Ausdruck, in dem ich auf dem Nachbarboot eine Runde Bier ausgebe. Das kommt immer gut an, auch bei mir! Doch insgeheim bin ich doch nicht so ganz zufrieden, denn ich wollte auf jeden Fall nach Cuxhaven, und überhaupt: Das ging mir alles viel zu einfach und alles viel zu schnell! Dennoch gehe ich wenig später recht vergnügt an Land und bemerke ein Phänomen, das mir hier in Brunsbüttelkoog schon öfter aufgefallen ist: Draußen pfeift es wie Hecht, aber hier drinnen, im Schutz der Deiche, der Häuser und Bäume, ist gar nichts. Kaum ein Lufthauch ist zu spüren, und ich genieße fast ein wenig Karibik-Flair auf dem weitläufigen Hafenvorplatz, wo man unter den großen Sonnenschirmen der Restaurants so schön bei einem Glas kühlen Gerstensafts sitzen und die Seele baumeln lassen kann. Alles völlig entspannt im Hier und Jetzt, dazu im Anblick der Großschifffahrt, die sich vorsichtig und mühsam durch die Schleusen arbeitet.

Tag 24, Sonntag, Brunsbüttel

113  Punkt 0530 Uhr wurde ich wach. Sofort überkam mich wieder das Gefühl der Unzufriedenheit von gestern, nicht nach Cuxhaven weitergefahren zu sein. Ich hatte mich vor Tagen dort bei einem Freund angemeldet, und nun absagen zu müssen, das schmeckte mir überhaupt nicht. Meiin Blick ging nach draußen: Dort herrschte Nebel und Nieselregen, aber der Wind schien noch nicht da zu sein. Sofort sah ich nach dem Stand der Tide: Ablaufendes Wasser, leider bereits seit 3 Stunden, es könnte noch klappen mit Cuxhaven. Der Entschluss dazu kam plötzlich, aber entschieden.

114  Seeklar machen! Sofort auslaufen. Der UKW-Kontakt zur Schleuse war allerdings hinhaltend, ganz schnell würde es nicht gehen mit dem Durchschleusen. Also begab ich mich auf die Warteposition und fuhr einen Kringel nach dem anderen. Ich fragte mich bereits, ob man mich mal wieder vergessen hatte, doch da öffnete sich das Tor zur kleinen Schleuse und das Signal "weiß, unterbrochen" leuchtete auf. Ich fuhr ein und mein Boot war nun das einzige in der Schleusenkammer. Dennoch ging es jetzt schnell, genau 15 Minuten später war ich auf der Elbe.

115  Hier sah es aus, wie ich es erwartet hatte: Nebel und Nieselregen, der Wind war nur mäßig, und die störenden Wellen waren auch noch nicht da. Das schien perfekt zu sein, allerdings sehr lange würde mich die Tide nicht mehr schieben können. Aber erst einmal hatte ich sie, und meine Fahrt über Grund betrug über 8 Knoten. Wenn das so bliebe, könnte ich in kaum mehr als 2 Stunden in Cuxhaven sein!

116  Natürlich blieb es nicht so. Der Regen ließ nach, die Sonne vertrieb den Nebel, und dann war der Wind auch wieder da. Selbstredend genau von vorne, wie so oft auf meiner Reise!

117  Aber noch lief die Tide mit, in manchen Momenten kratzte die Fahrtanzeige des Plotters sogar an der 9 kn-Marke. Noch kam ich gut vorwärts, aber sehr lange würde das nicht der Fall sein können. Vor Otterndorf, auf halber Wegstrecke, begann es unangenehm zu werden. Der Wind war nun wieder voll da, die Tide ließ nach, und viel entgegenkommende Schifffahrt drängte mich immer weiter ins linke Nebenfahrwasser. Doch hier zeigten sich schon in geringer Entfernung die trocken gefallenen Wattflächen des Ufers. Ganz vertrauenerweckend empfand ich diese Situation nicht, obwohl ich laufend die Wassertiefe im Blick hatte. Ganz blöde wurde es, als mir ein Bagger direkt entgegen kam, der sich lautstark über meine Anwesenheit beschwerte. Da blieb mir nur übrig, das Fahrwasser zu queren und mein Glück auf der auslaufend rechten Seite zu suchen. Aber große Schiffe, die dicht an mir vorbei zogen, drängten mich auch dort an den Rand zum Watt. Also, wieder zurück.

118  Die Fahrt ließ nach, die Elbe war unruhig, sei es nun wegen des zunehmenden Windes oder sei es wegen den Wellen, die die Schiffe mir schickten. Die Geschwindigkeit ließ nach, erst 7 Knoten, dann 6 Knoten, und als die Tide vollends gekentert war, waren es nur noch 4 Knoten. Aber das reichte, Cuxhaven war voraus, bald würde ich da sein.

119  Um 0940 Uhr durchfuhr ich die Einfahrt zum Yachthaven Cuxhaven. Obwohl sich dort im Vorhafen etliche Boote tummelten, die ausgerechnet in diesem Augenblick ihre Segel klarieren mussten, erspähte ich die Lücke, schlüpfte hindurch, fand einen geeigneten Liegeplatz an einem der Fingerstege, wo der Wind auflandig war. Hier machte ich fest. Sogar Hilfe wurde gewährt!

120  Cuxhaven ist für mich immer etwas Besonderes. Immerhin war ich schon einmal Einwohner dieser schönen Stadt, damals, als ich bei der Marine war. Lang, lang ist's her, doch ich liebe es immer noch, hier durch die Straßen zu wandeln, an den schön renovierten Häusern aus der Kaiserzeit vorbei, und das Ambiente des großen Seebades zu genießen. An einem Bäckerladen mache ich Halt, betrete das aufwändig hergerichtete Gebäude und lasse mir von einer jungen, hübschen Bedienung das Frühstück servieren! Ein perfekter Moment.

121  Danach führt mich der Weg durch die Stadt, zu den ausgedehnten Hafenanlagen und zuletzt zur ALTEN LIEBE, vormals ein Anlegepunkt für kleinere Fahrgastschiffe, heute aber nur noch beliebter Aussichtspunkt für die vielen Touristen, die sich hier den Nordseewind um die Nase wehen lassen. Doch ich habe viel Zeit verloren bei meinem Eintauchen in vergangenen Zeiten. Um 1600 Uhr habe ich Termin an meinem Boot. Da muss ich mich jetzt sputen!

122  Als ich am Boot ankomme, ist mein Besuch schon da. Ja, zusammen mit Claus-Dieter war ich über ein Jahr lang zur See gefahren. Damals vor 50 Jahren, ich als junger Leutnant zur See auf der Brücke, er als fast ebenso junger Obermaat der Sperrabteilung auf dem Achterdeck! Was waren das für Zeiten! Doch jetzt sitzen wir an Bord, klönen und trinken ein Bier der Freundschaft. Als der Kleine Hunger über uns kommt, verholen wir uns in die Gastronomie des Yachtclubs. Speis' und Trank vom Feinsten! Currywurst mit Pommes! Man gönnt sich ja sonst nichts!

Tag 25, Montag, Cuxhaven

123  Morgens ist das Wetter schön, das motiviert mich zu einem weiteren Rundgang durch die Stadt. Und wieder bin ich auf der Alten Liebe, doch was ich bemerke, ist nicht so erfreulich wie das, was ich am frühen Morgen sah. Der Wind bläst immer noch aus Nordwest, hat inzwischen Stärke 4 und treibt ziemlich schwarze Wolken heran. Meine Hoffnung, über Helgoland zur Außeneider zu segeln, kann ich getrost begraben. So, wieder mit diesem strammen Wind direkt von vorne, wird das nichts. Weder mit Segeln noch mit Maschine, dafür ist das Boot zu klein und der Weg zu weit. Und laut Voraussage ist auch mit einer Änderung der Wetterlage in der ganzen nächsten Zeit nicht zu rechnen. Da bleibt mir nur die Fahrt über den Nord-Ostsee-Kanal in die Eider. Helgoland wäre schön gewesen, aber insgeheim hatte ich schon damit gerechnet, dass es so kommt. Allerdings sollte ich dann bald in See stechen, denn seit 0900 Uhr ist auflaufendes Wasser, das ich bei der Fahrt zurück nach Brunsbüttel nutzen sollte. Dennoch schiebe ich auf dem Rückweg zum Hafen noch einen kurzen Besuch bei der Witwe eines viel zu früh verstorbenen Crewkameraden ein. Ein nettes Gespräch und eine Tasse Kaffee später muss ich aber wirklich los, die Tide wartet nicht.

124  Um 1115 Uhr lege ich ab, schon bei der Ausfahrt aus dem Hafen erfasst mich ein Strom von mehr als 3 Knoten. Und endlich kommt meine Genua zum Zug! Der Wind greift kräftig ins Segel, und mein Boot macht fast einen Sprung nach vorn. Mit voller Fahrt - über Grund oft mehr als 9 Knoten - rausche ich ab, immer am einlaufend rechten Tonnenstrich entlang. Endlich Segeln! Da stört mich auch der gelegentliche Regenschauer nicht, und selbst, als der Wind noch weiter zulegt, sodass ich ein wenig reffen muss, wird meine Laune nicht gemindert.

125  Die flotte Fahrt endet viel zu früh vor den Schleusenanlagen von Brunsbüttel. Auch wenn die Sonne jetzt scheint, es herrscht hier, wie so oft an dieser Stelle, wo die Elbe einen Knick nach Westen macht, ein unangenehm kabbeliger Seegang. Fast 2 Stunden vergehen so, dann erst, als ein mittelgroßer Frachter in der Kleinen Schleuse Süd festgemacht hat, darf dort endlich der Pulk von Seglern einlaufen, der sich inzwischen auf der Reede gebildet hatte. Die großen Boote drängeln sich vor, ich aber schiebe mich von hinten, eng am Frachter vorbei, bis ganz nach vorn und gehe mit Steuerbordseite längsseits. Als sich das Tor öffnet, laufe ich als erster aus, und als erster laufe ich ein in den nahen Yachthafen, an dessen Außenpier ich mir nun den besten Liegeplatz aussuchen kann. Keine 10 Meter daneben passieren die Dicken Pötte auf dem Weg von und zur Großen Schleuse. Das, was sich mir jetzt bietet, ist Hafenkino vom feinsten, wenn auch einmal ganz anders als sonst!

126  Noch ist es früh am Tag. Also ausgedehnter Landgang mit begrenztem Shopping. Am späten Nachmittag bin ich zurück, mache mir es auf der Salonbank bequem und widme mich dem mitgebrachten Lesestoff. Doch schon nach einer Stunde wird es mir unbequem. Als ich der Sache auf den Grund gehe, bemerke ich, dass mein linkes Knie streikt. Nur unter Schmerzen kann ich es krümmen, und noch schmerzhafter ist es, es danach wieder zu strecken. Hallo? Was ist das denn jetzt? Ja, ich erinnere mich, ich bin vorhin so flott von der Kaikante gesprungen und danach etwas unglücklich aufgekommen. Ist das etwa der Grund für diese höchst hinderliche Unpässlichkeit? Oder knirscht es jetzt im Gebälk meines wahrlich nicht mehr ganz taufrischen Bodys?

127  Im anschließenden Chat mit meinem Törnberater in Mexiko fallen schon zu diesem Thema Worte wie "Meniskusriss", "Operation" und "Krankenhaus". Dem kann ich mich nun wirklich nicht anschließen, bin ich doch überwiegend der Meinung: "Kommt von selbst, geht von selbst!" Im anschließenden Telefonaustausch mit meiner "Haus- und Leibärztin" im heimischen Domizil einigen wir uns vorläufig auf ein sogenanntes "Nervenwurzel-Reizsyndrom", was umgangssprachlich soviel heißt: der Ischias-Nerv ist eingeklemmt. Da wäre jetzt eine Tablette "Ibuprofen 600" angebracht. Kein Problem, so etwas habe ich an Bord!

128  Trotzdem, als ich später doch wieder an Land gehe, humpele ich wie weiland John Wayne mit Beinschuss!

Tag 26, Dienstag bzw. 27, Mittwoch, NOK & Gieselauschleuse

129  Morgens ist der Schmerz wie weggeblasen. Meine Knie fühlen sich fast an wie die eines jungen Hirschen. Na, dann aber los in den Ort zum Frühstück. Das genehmige ich mir im Bäckercafé des örtlichen Lebensmittelmarktes. Doch während ich so das Anlaufen des Geschäftsbetriebes beobachte, fällt mir etwas auf. Nach meinem Plan will ich am Donnerstag in Stapel sein, und da ich an einem Freitag losgefahren bin, müsste meine Reise genau 4 Wochen und damit genau 28 Tage gedauert haben. Zurück an Bord überprüfe ich mein Logbuch: Tatsächlich, den Tag 21 habe ich zweimal vermerkt. Da haben mich wohl die Ereignisse in Wedel ganz schön "in Tüdel" gebracht!

130  Somit ist es heute der 27. Tag meiner Reise, die ich um 1215 Uhr beginne. Bei völliger Flaute, aber bedecktem Himmel. Ich fahre hinaus auf den Nord-Ostsee-Kanal und nehme Kurs "Revierfahrt Ost" mit 5 Knoten. Nach einer völlig ereignisarmen Fahrt steuere ich um 1600 Uhr in den Gieselaukanal ein, 15 Minuten später bin ich fest auf der Ostseite des Vorhafens, wohin die Sonne scheint. Denn so warm ist es dann doch nicht.

130  Dieser Vorhafen der Gieselauschleuse ist eine Welt für sich. Sind sonst in und um die Häfen Betrieb und mancher Lärm an der Tagesordnung, so herrschen hier Ruhe und Stille. Nur die Vögel in den dichten Baumreihen auf beiden Seiten, die fast jeden Wind abhalten, sind zu hören, sonst nichts. Daran passen sich auch die Besatzungen der Yachten an, die hier den Übernachtungsstopp nehmen. Meine Empfindungen in dieser Richtung werden nur noch gesteigert durch das Abendessen, das mir die Kombüse meines Bootes zaubert: 3 Spiegeleier mit Speck und Zwiebeln!

Tag 28, Donnerstag, Einlaufen Süderstapel, F I N

131  Es ist alles vorbereitet. Der Hafenmeister hat mir auf meine telefonische Anfrage hin einen Liegeplatz bereit gestellt, die Lady wird mich dort erwarten. Das Wetter ist sommerlich warm, nur gelegentlich erreicht mich ein Windstoß. Alles ist gut. Um 0800 Uhr gehe ich durch die Schleuse Gieselau und werde um 30 Zentimeter abgesenkt. Um 0900 habe ich die Schleuse Lexfähre hinter mir, in der ich ebenfalls um 30 Zentimeter abgesenkt wurde. Eigentlich sollte man meinen, ein einmaliger Schleusengang müsste da ausreichen. Doch der Grund ist der: Im Nord-Ostsee-Kanal soll wegen der manchmal sehr tiefgehenden Schiffe der Wasserstand so hoch wie möglich sein. Der ist aber dann zu hoch für den Binnenbereich des Gieselaukanals und der Rendsburger Eider, die nur wenig nördlich zusammenfließen und damit dasselbe Niveau haben. Eine weitere Absenkung nur wenige Kilometer danach ist dennoch erforderlich, weil das Land, durch das die Eider dann fließt, zum Teil 2 Meter unterhalb der Meereshöhe liegt.

132  Um 1115 Uhr passiere ich die Brücke Pahlen, die so pünktlich auf meinen Anruf hin öffnet, dass ich kaum die Fahrt mindern muss. Ich passiere Bargen, ich passiere Delve, dann geht es um die letzte Huk, und mein Tagesziel liegt vor mir. Der Kirchturm grüßt, die Fahnen wehen, ich sehe die Bäume und die Häuser hoch über dem Wasser, und ich sehe den Hafen, in dem sich die Boote drängeln. Volle 28 Tage war ich unterwegs, bis auf die Karambolage zu Anfang ist alles gut gegangen, da kann ich sehr zufrieden sein. Doch nun muss ich den Stift aus der Hand legen und das Boot klarmachen ... zum Einlaufen in den Hafen von Süderstapel.

133  E N D E